September ’81
Einen süßen Sommer lang
schlich ein unscheinbarer Junge,
von der Großmutter verlogen
erzogen,
sehnsuchtskrank
mit trockner Zunge
durch den Park,
fühlte sich so quälend wach
und bekniete sich: sei stark!
Mach deine Schwäche zum Lebenssinn,
gib dich hin!
Du bist alltäglich, sei nicht auch noch kläglich:
bürste dich gegen den Strich,
mach dich lustig über dich!
Also: Wenn er einen Mann sah,
der auch ihn neugierig ansah,
fühlte er: ein Mann, ein Mann!
Und fing seine Nummer an:
Er lächelte, natürlich willig,
aber niemals schäbig-billig,
er war zwar nicht
ohne Arg,
doch schon gar nicht
für die schnelle Mark
im Park.
Und kam sein Traummann
an seinen Baum ran,
fühlte er sich winzig groß
und legte los.
Erst ächzte er beglückt:
„Uuh, uuh“,
den ganzen langen Sommer.
Dann lechzte er verzückt:
„Du, du,
wilder Stier, mach’s mit mir,
stille meine stille Gier,
gleich hier!
Lass mich mich vor dir entblößen!
Schmiede mich, ich bin dein Eisen!
Ach, an deinen leisen
Todesstößen,
diesen jahrelangen Reisen,
will ich über Nacht vergreisen.
Ich will ohne Schranken,
ohne Gedanken,
aber auch ohne Vergessen
das Leben wie ein Pfeil durchmessen,
geil durchmessen:
einsame Lilie,
blühn und verfallen –
große Familie,
eins sein mit allen:
da sein ohne Punkt und Komma –
mach mich zur Omma, mach mich zur Omma!
Erst dein Eisen, dann dein Schrott sein,
du – sekundenlang mein Gott sein,
mein Apoll.
Bei jeder Art von Aphrodite
war ich immer eine Niete,
das war immer grauenvoll.
Sei mein Engel,
oh, ich schlängel
mich um deine Schenkel,
sei mein Enkel,
sei mein Vater, mein Berater,
so etwas hatt’ ich nie.
Sei Apoll,
mein Dur im Moll.
Sieh:
später Sommer, späte Schatten,
die viel wollten, wenig hatten,
ein gespenstisches Begatten
ihrer Träume,
ihrer fahlen Innenräume,
allenfalls,
drehen ihre ernsten Runden:
auf der Balz …
Späte Stunden, spätes Spiel:
lächerlich.
Doch in diesem wunden,
wunderlichen Lampenlicht
lächelt man nicht
viel.
So hart ist dein Hammer, so kurz ist mein Sommer …
„Mach mich zur Omma, mach mich zur Omma!“,
raunte er verträumt-verquast.
Zu diesem Zeitpunkt war der Gleitpunkt
mehr als um ein Haar
verpasst und der Stier (wenn’s denn einer war)
davongerast.
Da konnte er wimmern, da konnte er wettern,
da half kein Geschrei –
vorbei,
doch aus den Blättern
raunte es ihm leise zu:
„Du, du,
mach dir nichts draus,
steh
doch nicht so dumm herum,
geh
nach Haus
und bedenke stets:
Bald kommt der Schnee –
Und wenn er taut, kommt Aids.“
Er glaubte nichts und bebte:
eine traurige Gestalt,
doch sein Hoffen gab ihm Halt.
Und – er überlebte.